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Titel des Dokuments: Esther Bejarano (1924-2021)
 

Nachruf auf Esther Bejarano

O-Ton-Mitschnitt von Esther Bejarano im ISFBB-Online-Zeitzeugengespräch am 20. April 2021 (Moderation: Birgit Mair)



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Esther Bejarano im September 2020
bei einer Lesung in Fürth
(Foto: Birgit Mair)

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Esther Bejarano im Alter von 14 Jahren
(Foto: Privatbesitz Esther Bejarano,
Reproduktion ISFBB e.V:)
Esther Bejarano starb am Morgen des 10. Juli 2021 im Alter von 96 Jahren im Israelitischen Krankenhaus Hamburg. Die Nachricht, dass sie schmerzfrei eingeschlafen ist, tröstet, denn Esther hat in ihrem Leben viele Schmerzen erleiden müssen, die ihr die menschenfeindlichen Nazis zugefügt haben. Doch sie trotzte dem Versuch, sie zu vernichten: Sie überlebte das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das KZ Ravensbrück und einen Todesmarsch. Esther Bejarano, geboren am 15. Dezember 1924 als Esther Loewy, wuchs in Saarbrücken, Ulm und Neu-Ulm auf. Wie viele andere Überlebende des Holocaust musste auch Esther nach der Befreiung 1945 ihr Leben ohne die von den Nationalsozialisten ermordeten Eltern bewerkstelligen. Sie wanderte nach Israel aus, heiratete, bekam zwei Kinder. Zurück in Deutschland, engagierte sie sich seit den 1970er Jahren gegen Alt- und Neonazis. In den letzten zehn Jahren ihres Lebens stand sie unter anderem mit ihrem Sohn Joram und den Rappern von "Microphone Mafia" auf der Bühne. Unermüdlich berichtete sie in Schulen und bei öffentlichen Veranstaltungen von den Gräueln der Nazizeit. "Ihr müsst wissen, was passiert ist, damit so etwas nie wieder geschieht", sagte sie bei einem unserer Online-Zeitzeugengespräche, an denen hunderte Schüler/innen und Erwachsene teilnahmen und bei denen Esther via Telefon zugeschaltet war.

Mit Esther Bejarano geht eine moralische Institution von uns - eine Frau mit Charisma, eine Frau, die nie akzeptieren wollte, dass Naziaufmärsche bis heute stattfinden dürfen. Ich habe Esther in den vergangenen Monaten durch viele längere Telefongesprächen besser kennenlernen dürfen. Sie war eine äußerst liebenswerte, ehrliche und direkte Frau. Esther Bejarano hat uns erlaubt, ihren "Zwischenruf" aus der Tagesschau in einem Buch abzudrucken und hat uns private Fotos für die Zeitzeugenarbeit zur Verfügung gestellt. Die Filmaufnahmen und O-Töne, die wir bei den Veranstaltungen mitgeschnitten haben, werden wir im Laufe des Jahres auf der Homepage www.die-letzten-zeugen.de veröffentlichen. Esther Bejarano wurde am 18. Juli 2021 auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. Hunderte Menschen nahmen Abschied von ihr.

Birgit Mair & ISFBB e.V., Nürnberg am 10. Juli 2021


Esther Bejarano mit ihrem Sohn Joram und mit Kutlu von der Microphone Maifa bei ihrem letzten Konzert in fränkischen Fürth im September 2020.
(Foto: Birgit Mair)


Esther Bejarano:
Sie überlebte das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und engagiert sich bis ins hohe Alter gegen Neonazismus und Rassismus.

Als Esther Loewy wurde sie 1924 geboren und wuchs in Saarbrücken und Ulm auf, wo ihr Vater als Kantor der jüdischen Gemeinde arbeitete. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurde Esther aus der christlichen Volksschule ausgeschlossen und musste eine jüdische Schule besuchen. 1941 wurde sie nach Neuenhof bei Fürstenwalde an der Spree deportiert. Sie war damals 16 Jahre alt. Esther musste dort Zwangsarbeit leisten. Ihr Vater galt in der Nazisprache als "Halbjude". Man setzte ihn unter Druck, doch er ließ sich nicht von seiner jüdischen Frau scheiden. 1941 wurden Esthers Eltern nach Litauen deportiert. In Kowno hat man sie erschossen und in einem Massengrab verscharrt. Die Mutter war 43 Jahre alt, der Vater 47. Sie hinterließen vier Kinder, von denen drei den Nationalsozialismus überlebten.

Auf Anordnung der Nationalsozialisten fuhr Esther 1941 nach Breslau, um die elterliche Wohnung zu "liquidieren", wie es damals hieß. Wo ihre Eltern sich aufhielten, sagten die Nazis dem Mädchen nicht. Sie würden sich schon melden, so die Lügengeschichten der Antisemiten. Mitnehmen durfte sie aus der Wohnung nur ihre eigenen Kleider und Unterwäsche. Sie wollte alle privaten Fotos mitnehmen, doch das wurde ihr verboten. Als sie intervenierte, sagte ein Nationalsozialist zu ihr, sie solle sich nicht so anstellen, sie werde noch Schlimmeres erleben.

In der Folgezeit wurde sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie am 20. April 1943 ankam. Dort musste sie zunächst Steine schleppen. Durch viel Glück und mit Hilfe anderer gelang es ihr, eine leichtere Arbeit zu bekommen. Sie überlebte, indem sie sich als Musikerin für das Orchester meldete. Dort spielte sie Akkordeon. Im Online Zeitzeugengespräch mit Birgit Mair im Jahr 2021 berichtete sie, dass dies eines der schlimmsten Erlebnisse in disem Lager war für sie war: Sie musste spielen, wenn Züge mit neuen Gefangenen ankamen, die direkt in die Gaskammern gefahren sind. Mit solchen Methoden versuchten die Nationalsozialisten die zu Tode Geweihten zu täuschen und zu beruhigen.

Weil die Nationalsozialisten nach Frauen gesucht hatten, die so genanntes "arisches" Blut in ihren Adern hatten und das Mädchen eine christliche Großmutter vorweisen konnte, wurde sie nach Ravensbrück geschickt. Dort war sie als Sklavenarbeiterin für die Rüstungsproduktion eingesetzt worden. Gegen Kriegsende überlebte sie einen Todesmarsch - gemeinsam mit anderen versteckte sie sich in einem Waldstück hinter Bäumen und erlebte die Befreiung.

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Esther mit ihren Eltern in Ulm . Die Eltern wurden
von den Nationalsozialisten ermordet.
(Foto: Privatbesitz Esther Bejarano,
Reproduktion ISFBB e.V.)

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Schwester Ruth mit ihrem Mann.
Beide wurden von den Nationalsozialisten ermordet.
(Foto: Privatbesitz Esther Bejarano,
Reproduktion ISFBB e.V.)
Die Eltern von Esther Bejarano hatten die beiden älteren Geschwister ins Ausland geschickt. Sie überlebten. Schwester Ruth wurde ermordet. Die Eltern hatten sie zunächst in Holland in Sicherheit gebracht. Später wollte sie von dort aus sie in die Schweiz. An der Grenze wurde sie aufgegriffen und in das KZ-Durchgangslager Westerbork verschleppt. Von dort aus wurde sie nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ermordet. Wie viele andere Holocaust-Überlebende musste Frau Bejarano ihr Leben als Vollwaise bewerkstelligen.

Frau Bejarano engagiert sich seit den 1970er Jahren gegen Alt- und Neonazis und steht seit mehr als zehn Jahren mit der Rapband "Microphone-Mafia" auf der Bühne.

Sie beteiligte sich seit dem Jahr 2020 an unserem Zeitzeugenprogramm. Ihr Auftritt im September 2020 in Fürth in Bayern wurde von uns gefilmt, ebenso wurden unsere Online-Veranstaltungen mit ihr mitgeschnitten. Wir bedanken uns bei ihr für die Erlaubnis, private Fotos zu veröffentlichen.

Ihre Bücher "Erinnerungen", "Gedichte und Gerichte" sowie die DVD-Box "Ama La Vita" mit ihrem Bandprojekt Microphone Mafia können über uns erwoben werden. Anfragen an info@isfbb.de
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Esther mit ihrer Mutter
(Foto: Privatbesitz Esther Bejarano,
Reproduktion ISFBB e.V.)

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Im Erdgeschoss dieses Hauses am Rotenbühl in Saarbrücken lebte die Familie Loewy bis zu ihrer gewaltsamen Vertreibung
(Foto: Privatbesitz Esther Bejarano,
Reproduktion ISFBB e.V.)



Das erste Mal erlebte ich Esther Bejarano 2005 im Rathaussaal in Nürnberg. Ich hatte damals gemeinsam mit dem Holocaust-Überlebenden Josef Jakubowicz ihr Konzert besucht. Wir waren tief beeindruckt. (Foto: Birgit Mair)



Esther Bejarano zeigt mir die Narben ihrer Häftlingsnummer, die ihr in Auschwitz-Birkenau eintätowiert worden war und die sie sich nach der Befreiung entfernen ließ. (Foto: Birgit Mair)


O-Ton-Mitschnitt von Esther Bejarano im ISFBB-Online-Zeitzeugengespräch am 20. April 2021 (Moderation: Birgit Mair)



Am 20. April 2021 veranstaltete der Nürnberger Bildungsverein ISFBB e.V. sein letztes Online-Zeitzeugengespräch mit Esther Bejarano am Telefon. Der Tag hatte für die 96-jährige Zeitzeugin eine besondere Bedeutung, da sie genau vor 78 Jahren im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau angekommen war. Holocaustforscherin Birgit Mair präsentierte im ersten Teil der Veranstaltung Fotos und Dokumente aus dem Leben der Zeitzeugin. Im Anschluss daran wurde wird Esther Bejarano über Telefon zugeschaltet und beantwortete die zahlreichen Fragen aus dem Publikum. Wir haben eine Stunde für Sie zusammengeschnitten und präsentieren Ihnen den O-Ton zum Nachhören.

Sie beantwortet Fragen zu folgenden Themen:

Wie hat Esther Bejarano die Nachkriegszeit erlebt?
Wie hat Esther Bejarano den Todesmarsch überlebt?
Wie kam ihre Familie nach Ulm?
Warum ist Esther Bejarano von Israel nach Deutschland zurückgekehrt?
Wie hat Esther Bejarano die Kindheit in Saarbrücken erlebt?
Wie beurteilt Esther Bejarano den Versuch, der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit zu entziehen?
Warum blieb Esther Bejarano nicht in Israel und warum ist sie nicht nach Saarbrücken oder Ulm zurück gegangen?
Wann hat Esther Bejarano angefangen, über die NS-Verfolgungen zu sprechen und was hat sie ihrem Mann und ihren Kindern erzählt?
1970er Jahre: Wie erlebte Esther Bejarano den Infostand der NPD vor ihrer Boutique in Hamburg und den Umgang der Polizei damit? Was führte dazu, dass Esther anfing, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen?
Wie war das politische Klima in den 1960er Jahren? Esther Bejarano berichtet über den Antisemitismus ihrer Familie gegenüber am Beispiel der Discothek, die ihr Mann betrieben hat.
Esther Bejarano berichtet über den Umgang mit den NS-Tätern nach 1945
Wie hat Esther Bejarano es geschafft, mit der Geschichte umzugehen? Sie berichtet über den Prozess des Erzählens und anfängliche Alpträume. Zitat: „Diese Geschichte lebt in mir“.
Wie hat Esther Bejarano die Microphone Mafia gefunden?
Was passierte mit den Familienmitgliedern, die rechtzeitig ins Ausland ausgewandert sind?
Gab es in der Nachkriegszeit noch Kontakt zu überlebenden Geschwistern?
Hatte Esther Bejarano in den Konzentrationslagern Kontakt zu Zeugen Jehovas?
Spricht über ihre Schwester, die 1942 in Auschwitz-Birkenau von den Nazis ermordet wurde
Spricht über ihren Überlebensmut und über Selbstmorde von Mithäftlingen. Zitat: „Ich muss unbedingt überleben“.
Wie beurteilt Esther Bejarano Nazivergleich bei den Querdenken-Demonstrationen?
Sie berichtet über den Grund, warum sie von Auschwitz-Birkenau nach Ravensbrück kam.
Sie berichtet, warum sie keine Schuldgefühle hat, überlebt zu haben und ihre Rolle im Auschwitz-Orchester
Welchen Rat gibt Esther Bejarano uns, der jungen Generation mit auf den Weg?
Danach wird das Musikstück „Wir leben ewig“ gespielt. Esther Bejarano hatte sich das Lied gewünscht.
Schlusswort von Esther Bejarano an die nachfolgenden Generationen

Die Texte auf dieser Seite wurden verfasst von Birgit Mair