Asya Levit (geb. Rotenberg) wurde 1936 in Slavuta in der Westukraine geboren. Im Herbst 2020 haben wir mit ihr ein Online-Zeitzeugengespräch durchgeführt, das gefilmt und vom Russischen ins Deutsche verdolmetscht wurde. Die damals 84-jährige jüdische Holocaust-Überlebende berichtete im Online-Seminar live vom Schicksal ihrer Familie. Ihr Geburtsname war Jochewet (Spitzname "Jacha"). Sie erhielt den weniger jüdisch klingenden Namen "Asya", den später beibehielt. Als Kind überlebte sie eine Massenerschießung durch die Deutschen und ihre ukrainischen Verbündeten in ihrer Heimatstadt Slavuta, bei der ihre Mutter und ihr Bruder ermordet wurden. Die Mutter hieß Rachel Matusowna Rotenberg, war Jüdin und wurde 1905 geboren. Der Bruder hieß Gregori Rotenberg (jüdischer Vorname "Gersch", Spitzname "Musia"). Er wurde 1930 geboren. Ihre Namen finden sich in einem Buch über den Holocaust in Slavuta, das in ukrainischer Sprache verfasst ist. Kopien davon befinden sich in unserem Archiv. Die Erinnerung an die Massenerschießung in Slavuta, bei der fünftausend Jüdinnen und Juden, die zuvor in einem für sie errichteten Ghetto gefangen gehalten und schließlich ermordet wurden und wie es das Kind geschafft hat, zu entfliehen, hat Frau Levit verdrängt. Sie erklärte sich ihr Überleben so, dass die Nationalsozialisten Kinder lebendig in Massengräber warfen und sich gewissermaßen die Kugeln gespart hatten, weil sie davon ausgingen, dass kein Kind dies überleben würde. Das Mädchen aber überlebte. Die Zeitzeugin berichtete, dass sie sich daran erinnert, wie sie als Kind umhergeirrt ist und hungrig an Gemüseresten auf Feldern nagte. Schließlich wurde sie gerettet und mehr als eintausend Kilometer südöstlich von Slavuta in verschiedene Kinderheime nach Krasnodar und Mariupli in der Nähe des Schwarzen Meeres gebracht. Durch viel Glück und weil ihre überlebende Tante sich in der Nachkriegszeit um Waisenkinder der Leningrader Blockade gekümmert hatte - so die Vermutung der Zeitzeugin - , hatte ihr Vater sie gefunden. Der Vater, Jakow Rotenberg (jüdischer Vorname "Jankel"), hatte zeitweise in der Roten Armee gedient, wurde dann wegen einer Verwundung als dienstuntauglich erklärt und arbeitete als Wachmann in einer Tabakfabrik. Die Zeitzeugin berichtet von einem Leben in bitterer Armut in der Nachkriegszeit. Der alleinerziehende Vater schaffte es oft nicht, sie vom Kinderheim abzuholen, wo sie auch teilweise übernachtete. Manchmal schlief sie im Wachhäuschen, dem Arbeitsplatz des Vaters, auf dem blanken Boden. Die Zeitzeugin berichtet von sich, dass sie als Kind ängstlich und verwildert war. Dieser Zustand dauerte bis in die Schulzeit an. Später betrieb sie exzessiv Sport, u.a. Basketball und Eiskunstlauf. Mit Hilfe ihr wohl gesonnener Menschen schaffte sie trotz der widrigen Umstände das Studium der Mathematik und Physik. Nach dem Studium sollte sie eine Stellen in Sibirien antreten. Sie lernte ihren ihren späteren Mann kennen, heiratete und bekam zwei Kinder. Die Tatsache, dass sie in einem jüdischen Ghetto war, verheimlichte sie, da sie sonst - wie sie sagte - als „Verräterin“ gegolten hätte. Neben ihrem Beruf engagierte sich die musikalisch begabte Frau in der Philharmonie. Sie glaubt, dass sie ihre Musikalität von ihrer Mutter geerbt hat und kann sich noch an ihre sanfte Stimme erinnern. In den 1990er Jahren zog Frau Levit wie zahlreiche andere so genannte "Kontingentflüchtlinge" nach Deutschland. Der Umzug viel ihr nicht leicht. Sie lebte zunächst in Weiden in der Oberpfalz, wo ihr Mann starb und zog danach nach Mittelfranken. Mitglieder der jüdischen Familie Rotenberg aus Slavuta in der Zeit vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion. Die zweite in der ersten Reihe ist Rachel Matusowna Rotenberg, die Mutter der Zeitzeugin. Sie wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Hinter ihr ist die Großmutter der Zeitzeugin zu sehen. Über ihr Schicksal ist nichts bekannt. Rechts im Bild ist ein Onkel zu sehen, der später nach Leningrad zog. Die Tante, die vorne in der Mitte zu sehen ist, überlebte und engagierte sich in der Nachkriegszeit für Waisenkinder der Leningrader Blockade. (Foto: Privat) | ||||||
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